"Fresche Maifisch, Poller Maifisch" riefen die Frauen mit dem geblümten Rock, der blauen Schürze und dem weißen Kopftüchlein, wenn sie im Lenzemonat hinter dem Fischwagen her durch die Straßen der Großstadt zogen und ihre Ware an den Mann zu bringen suchte oder wie der Volksmund sagte "prinzen gingen". Der Fischwagen, gewöhnlich ein gemietetes Rollfuhrwerk, war mit grün angestrichenen Bütten voll Maifische besetzt und darauf stand ein robusten "Prinzchen", so nannte man die Poller Fischerfrauen und schwang drohend den dicken Weidenknüppel, wenn eine unberufene Hand sich nach dem fremden Gute ausstreckten. Von den Hauptstraße trugen die "Prinzchen", die Bütten auf dem Kopfe in die Seitengassen und in die Häuser, wo sie stets gute Abnehmer fanden. So ging's fort, bis der letzte Schwanz verkauft war, dann zogen die Frauen oft zu 30 bis 40 zusammen nach zu der alten Landestelle der Poller Milchmädchen an der Rheingasse oder am Bayen, setzten ihre Bütten auf den Kahn, zogen ihn an einem langen Seile Stromaufwärts und ließen sich bei Marienburg nach Poll übersetzen.
Der Maifisch, von dem oben die Rede war, ist ein "Kind des Meeres", das im Frühjahr (20. April bis 20. Mai) den Rhein hinaufsteigt, um seine Eier abzulegen. Sein Gewicht schwankt zwischen zwei und sechs Pfund, ein charakterliches Erkennungszeichen sind die beiden schwarzen Buntreihen auf dem Rücken und der stumpfe Kopf. Der Unkundige aber, der nach Poll kommt, um Fisch zu essen oder zu kaufen sieht jeden Fisch für einen Maifisch an, denn unzertrennlich ist sein Name mit dem Ort verknüpft. Von Februar bis April fängt man den silberweißen Wintersalm, dessen Gewicht selten unter 20 Pfund beträgt, von April bis August den feinen Sommersalm oder "Augsling" und "Jacobsalm", dazwischen noch vom 15. Mai bis 20. Juni die sogenannten Finten oder Finlen eine Backfischsorte minderer Qualität. Mit dem Fang des "kupfernen" oder "silbernen" Herbstlaches (15. September bis Ende Oktober) findet die Fischerei ihren Abschluß. Nur selten geht ein Stör in die Netze. 1876 fing man ein Tierchen von 435 Pfund.
Die Poller Fischer bilden heutzutage zwei Gesellschaften zu je acht Mann, die "Berg" und die Zeiegezau", beide anlehnend an alte Familiennamen, deren Träger zum Teil schon vor Jahrhunderten das Fischergewerbe ausgeübt. Wenn im Frühjahr, der Wintersalm den Rhein hinaufzusteigen beginnt, treten die Gesellschaften im alten Stammlokale bei Kasimir Ditzer (früher Mathias Hadenbrach auch "Zeie Thores" genannt) zusammen und erklärten das Geschäft für eröffnet. Das Los entscheidet, welche Gezau den Fang beginnt und von dieser Stunde an wechseln sich die beiden Kompanien alltäglich ab.
Der Maifischfang geschieht seit undenklichen Zeiten mit einem 200 m langen und über 2m breiten Schleppnetze, dessen Maschen so weit sind das die kleineren Fische hindurchschwimmen können. An einer Seite ist das Netz mit Bleistücken beschwert, während es an der anderen von großen Korkstücken über Wasser gehalten wird.
Soll der Zug beginnen, so wird das Netz auf einen mit hölzernen Bogen überspannt Nachen gelegt. Steuermann, Nachenjunge, "Bankemann" und Voraufsmann nehmen darin Platz und nun geht's Rheinaufwärts nach Rodenkirchen. Der Steuermann hat die Oberaufsicht über den Fang, der Nachenjunge lenkt den Kahn und der "Bankermann" auf der schwankenden Kahnbank sitzend, bewegt kräftig die Ruder, wobei ihn der "Voraufsmann" unterstützt. Endlich ist die "Wasserpartie" am Ziel gen Rodenkirchen gelandet, wo sie die "Landpartie" begrüßt, den "Leitseilmeister" und seinen Knecht, den "Durchleitmann" und den Läderjungen.
"Kapp ab zum Gebet!" ruft ernst der Steuermann und alle lüften den ledernen Hut mit der Ohrenklappe, den unentbehrlichen Südwester" bei Sturm und Regenschauer. Jede verrichtet nach altem Fischerbrauch sein Vater unser, dann ruft der Steuermann: "In Gottes Namen!" und mit kräftigen Schlägen stößt der Kahn vom Ufer der Mitte des Stromes zu. "Leitseilmeister", Knecht und "Durchleitmeister" halten das Ende des Netzes an einem langen Seile zurück, damit es nicht von der Strömung abgetrieben werde, eine Arbeit, die fast übermenschliche Kraftanstrengung erfordert. Der Steuermann bestimmt das einzunehmende Stromgebiet und gibt das Signal für etwa vorbeifahrende Schiffe, am Tage mit der Fahne, bei Nacht mit der Laterne. Ist das Netz bis zum Ende abgewickelt, so wirft der "Bankermann" das "Rendel" in die Flut, eine 4 ½ m lange Stange, die unten mit einem Eisenschuh versehen ist.
Bei dem schwarzen Fischerhäuschen landet die Gezau, das Seil mit dem Netze ans Ufer ziehend, wo es der Läderjunge an der "Reeling" ordnungsmäßig zusammenlegt. Je kleiner der vom Netze belegte Halbkreis wird, umso mehr erwächst die Ungeduld der Fischer, die auf einen guten Fang hoffen, wie die zahlreichen Zuschauer, die aus der Stadt herbeigeeilt sind, um einen frischen Fisch an Ort und Stelle zu erstehen. Endlich ist die Absperrung bis auf einen kleinen Raum reduziert, der oft von Fischen wimmelt, großen und kleinen, zuweilen zeigt auch ein gewaltiger Stör durch kräftigen Wellenschlag seine Anwesenheit an und stößt zornig gegen das Netz. Gelingt es ihm dann durchzudringen, ja hat er die goldene Freiheit nicht erlangt, denn die Fischer haben vorsichtigerweise ein zweites Netz mit engen Maschen das sogenannte "Umnetz" aufgestellt, das zugleich das Überspringen der Lachse verhindert. Der Stör aber wird mit dem Ledergürtel aufgehoben, gefesselt und eine Woche lang dem Schaulustigen Publikum gezeigt.
Eine volle Stunde hat der "Zug" gedauert. Der "Läderjunge" sammelt die zappelnde Ware in einem Korb, umdrängt von einem ungeduldigen Menschenknäuel, denn jeder will einen schönen Maifisch erwerben. Bald sind alle Wünsche erfüllt und stolz trägt der Käufer die Beute in einem kleinen Netz oder an einer durch die Kiemen gezogenen Weidenrute nach Hause. Die nicht veräußerten Fische wandern in das Fischrar und werden mit diesen ins Wasser gebracht. Eine kleine Stärkung nehmen die Fischer in ihrer Hütte zu sich, dann beginnt der Fang von neuem, bis sich der Abendschatten über die Fluten des Rheines senkt. In der Hochsaison aber gönnt man sich oft die Nachtruhe nicht, bei sehr zweifelhaften Bedienst , denn schon seit Jahren ist der Maifischfang, der früher zahlreiche Familien des Ortes ernährte, immer mehr in Rückgang gekommen, da die Holländer die Rheinmündung mit großen Netzen absperren und die Rheinaufwärts gelegenen, gewerblichen Etablissements ihre Abwässer dem Strom zuführen. Nicht lange mehr und auch dieses Idyll - die Poller Fischerei - lebt nur noch in der Geschichte
Quelle: Zeitungsartikel vom 21. Mai 1912
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