Wir sind heute mehr denn frühere Generationen an außer gewöhnlichen Erscheinungen unseres Daseins gewöhnt worden. Sie schrecken uns weniger Uns ist heute ein schweres Gewitter viel weniger Anlaß zur Beunruhigung als das donnern einschlagender Bomben. Dennoch erregen besondere Naturerscheinungen immer noch unser Interesse, wie der Hagelschlag vor einiger Zeit, bei dem Körner beachtlicher Größe herunterkamen. Solches Ereignis mag der Anlaß sein, einmal einer wirklichen Naturkatastrophe zu gedenken, die vor 46 Jahren über unsere Stadt hereinbrach und mancherlei schwere Schäden verursachte. Dies war der Wirbelsturm am 8. August 1898.
Einige Augenzeugenberichte mögen Leitfaden für die Schilderung dieses Ereignisses sein, an das sich sicherlich noch manche Kölner erinnern werden. Am genannten Tage sandte die Sonne ihre glühenden Strahlen von einem wolkenlosen Himmel. Obschon es ein Sonntag war, wagte sich keiner in die tropische Glut hinaus. Die Luft erzitterte über der heißen Erde, und in den Straßen der Stadt war es kaum erträglich, da die Häuser sich mehr und mehr in dieser brütenden Hitze in gut gewärmte Backöfen zu verwandeln schienen. Die in den Vororten wohnenden Menschen, deren Blick freier über die weiten Felder bis zum Horizont gehen konnte, sahen um die vierte Nachmittagsstunde am südwestlichen Himmel eine scharf begrenzte aufsteigende Wolkenmasse, die schneller und schneller emporwuchs. Unheimliche Stille lastete über Köln, kein Windhauch rührte die glühende Luft, die Menschen bewegten sich kaum, da die ungewöhnliche Hitze sie lähmten Am Himmel türmte sich ein ungeheures Wolkengebirge empor. Wie eine Vision aus Urwelttagen schien es aus der Erde zu wachsen. Verstärkt wurde dieser Eindruck des Urwelthaften noch durch ein dauerndes dumpfes Rollen,
das aus dem Turm dieser gigantischen Wolkenmassen tönten. Die Sonne verlor ihren Schein, und schwefelgelb erschien der Himmel. Als nun die Wolkenmassen die Ville erreicht hatten, spalteten sie sich in vier Teile und jagten auf den Rhein zu. Zwischen Köln und Bonn entlud sich ein Teil mit gewaltigem Hagelschlag, bei dem Körner von mehr als Taubeneiergröße wie die Lapilli eines Vulkanausbruches niederprasselten. Die Hauptmasse des Unwetters aber bewegte sich auf Köln zu.
Algermissen schildert es in seiner Beschreibung folgendermaßen "Vorab ging ein grauer schmaler Streifen, wie ein Band aus den Wolken hängend. Den Häusern sich nähernd, entwickelte sich aus dem Bande eine wirbelnde. Luftsäule, die aus Nordwesten über Süden nach Norden drehte, am Rande das Entgegenstehende nach außen niederwerfend, im Innern alles, was nachgab, aufsaugend,
in die luftleere Mitte schleudernd, hier empor wirbelnd und 20 bis 50 Meter abseits wieder auf Erde werfend."
Zunächst wütete dieser Wirbelsturm über Bayenthal, in weniger als zwei Minuten große Schäden anrichtend Häuser wurden abgedeckt, Bäume entwurzeln, Fenster zertrümmert und mancherlei Gegenstände durch die Luft gewirbelt. Großes Getöse erfüllte die Luft Das Heulen der Luftmassen, Krachen und Bersten, Klirren und Poltern der Trümmerstücke, dazu Donnerschläge des nahen Gewitter. In Bayenthal teilte sich die Sturmsäule, und der Hauptast wanderte über den Rhein auf Poll zu. Ein eigenartiges Schauspiel zeigte sich, als die saugende Luftmassen die Wasserfläche des Stromes berührten Das Wasser wurde hochgewirbelt und teils mit aufs Land getragen. Dann stürzte sich die Luftsäule auf die Gehöfte Hochholz und Türk am Käulchensweg in Poll. Die Dachstühle wurden abgerissen, die Giebelmauern stürzten ein. Der zweite Luftwirbel folgte dem ersten nach und erfaßte die Pfarrkirche.
Ein Blitz fuhr in den Turm, dann drehte der Sturm den Helm vom Mauerwerk, hob ihn in die Luft und riss ihn dort auseinander. Die Trümmer stürzten auf das Dach des Langschiffes, wo sie teils durch das Gebälk schlugen, teils seitlich abglitten und auf den Dächern der Seitenschiffe Schäden anrichteten. Die beiden Wirbelstürme hausten dann weiter in der Salmstraße, wo sie zahlreiche Häuser fürchterlich zu richteten. An der Siegburger Straße wurde der große Tanzsaal des Restaurants Jägerhof vom Sturm erfaßt, die Mauern auseinander gerissen und die Teile umher gestreut. Auf dem Sandberg im Gehöft des Jakob Mörs stürzte der Kuhstall ein und begrub die Tiere unter seinen Trümmern.
Besonderes Unglück richtete das Unwetter auf dem Anwesen der Witwe Bayer in Rolshoven an. Das kleine Gehöft lag, von einer mächtigen Linde beschattet, friedlich inmitten der sich breiten Felder. Der kleine siebenjährige Wichartz hatte sich unter die große Linde gestellt, wohl um das eigenartige Geschehen zu beobachten, als plötzlich der Tornado auf das Gehöft zu lenkte und in wenigen Sekunden diese friedliche Stätte in ein Trümmerfeld verwandelte. Der gewaltige Lindenbaum wurde mit seinen Wurzeln aus der Erde gedreht, erschlug im Fallen den unter ihm stehenden Knaben und stürzte auf das Wohnhaus, die Mutter mit ihren Kindern unter den Trümmern des einstürzenden Gebäudes begraben.
(Unser Bild zeigt eine Aufnahme kurze Zeit nach dem Unglück.)
Auch der Poller Omnibus wurde während seiner Fahrt nach Deutz vom Sturm erfaßt. Der Wagen wurde auf die Seite geschleudert, wobei der Kutscher den Arm brach und eine Frau nicht unerheblich am Kopf verletzt wurde. Im Gremberger Wäldchen wurden mächtige Bäume wie Streichhölzer geknickt oder mit den Wurzeln aus dem Boden gerissen und quer über die durch den Wald führende Ringstraße geschleudert. Nach Osten sich verlierend, verschwand dann der Wirbelsturm so schnell, wie er gekommen war. Regengüsse, Hagelschlag und heftiges Gewitter begleiteten die Erscheinung, die besonders in Poll, aber auch in einem Teil der anderen, vor allem rechts rheinischen, Vororte schwere Schäden verursacht hatte
An einigen Stellen vermeinte man die Auswirkungen wüster kriegerischer Ereignisse zu sehen.
➯ Gehöft Bayer in Rolshoven nach dem Wirbelsturm
Zertrümmerte Häuser, Tische, Stühle, Kleider und Bettzeug in wüstem Durcheinander weit umher gestreut, geknickte Bäume und allenthalben Trümmer und Schutt.
Allein der Schaden in Poll wurde auf 450.000 Mark geschätzt Für die Betroffenen wurden alsbald Sammlungen veranstaltet,
und Stadt und Gemeinden sowie auch die Provinz spendeten reichlich, so daß bald wieder aufgebaut werden konnte. Nur wenig Todesopfer
waren zu beklagen, dagegen eine große Anzahl Verletzter, die aber dank sorglicher Pflege meist alle ohne schlimme körperliche Schäden
davon kamen. Neben den großen Hochwasser war dieser Wirbelsturm des Jahres 1898 einer der stärksten Naturkatastrophen im Kölner Gebiet.
... mit Lapilli (ital. "Steinchen") werden in der Vulkanologie erbsen- bis nussgroße (2-64 mm große) Gesteinsfragmente bezeichnet, die bei einem explosiven Vulkanausbruch gefördert werden.
Quelle: Zeitung vom 13. Juni 1944
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